Flexibilität, Hybridarbeit und digitale Tools verändern unseren Arbeitsalltag und bringen ein neues Arbeitsmodell hervor: Polyworking. Dabei übernehmen Fachkräfte parallel mehrere Rollen oder Jobs – häufig über unterschiedliche Auftraggeber hinweg, teils auch zeitlich überlappend. Dieser Trend wirft eine Reihe von Fragen für HR-Verantwortliche auf: Wie geht man mit Mitarbeitenden um, die mehrere Engagements haben? Welche Konsequenzen ergeben sich für Produktivität, Loyalität und Fürsorgepflicht? Und wie kann ein modernes HR-Management damit umgehen, ohne Misstrauen zu säen?
Dieser Artikel beleuchtet den Begriff Polyworking, zeigt Motive und Risiken auf und liefert konkrete Ansätze für HR-Strategien, um auf diese Form der Arbeit angemessen zu reagieren.
Was ist Polyworking?
Unter Polyworking versteht man, dass Personen gleichzeitig mehrere berufliche Engagements wahrnehmen – seien es Teilzeitjobs, Freelance-Tätigkeiten oder sogar mehrere vollzeitige Rollen.
Dabei unterscheidet sich Polyworking von klassischen Nebenjobs oder dem Gig-Arbeiten insofern, dass es oft dauerhaft und dauerhaft koordiniert betrieben wird, nicht nur projektweise.
Die Ausprägungen können vielfältig sein:
- Kombination aus einem Hauptjob plus mehreren Nebenprojekten
- Zwei oder mehr Teilzeitstellen parallel
- Mehrere langfristige Freelance‑Tätigkeiten
- Kombination verschiedener Rollen, z. B. Strategie, Beratung, Lehre
In aktuellen Studien nehmen bereits viele Arbeitnehmer:innen in den USA und global eine solche Form der Arbeit an.
Treiber & Motive: Warum setzen Mitarbeitende auf Mehrfachbeschäftigung?
Motive für Polyworking sind vielschichtig – sie reichen von finanziellen Notwendigkeiten bis zu persönlichem Wachstum:
Motivation | Beschreibung/Beispiele |
|---|---|
Einkommen aufbessern | Die Inflation, steigende Lebenshaltungskosten oder unregelmäßige Einnahmen motivieren viele, zusätzliche Quellen zu erschließen. |
Karriereentwicklung & Learning | Mitarbeitende nutzen zusätzliche Rollen, um Kompetenzen auszubauen, andere Branchen zu erkunden oder sich beruflich zu diversifizieren. |
Sicherheit & Diversifizierung | Das Risiko, sich auf nur einen Arbeitgeber zu verlassen, wird als zu groß empfunden. Mehrere Standbeine gelten als Absicherung. |
Autonomie & Selbstverwirklichung | Viele schätzen die Freiheit, eigene Projekte zu steuern, unterschiedliche Interessen zu verfolgen und mehr Varianz im Alltag zu erleben. |
Digitale Möglichkeiten & Remote Work | Dank Tools, Cloud, digitaler Prozesse lassen sich verschiedene Rollen besser parallel managen, oft auch ortsunabhängig. |
Chancen & Potenziale aus Sicht der Mitarbeitenden
Für Mitarbeitende bietet Polyworking mehrere Vorteile:
Diversifizierung & Risikostreuung: Wer nicht von einem Arbeitgeber abhängig ist, hat mehr Schutz bei Kündigungen oder wirtschaftlicher Unsicherheit.
Skill-Transfer und Innovation: Erfahrungen aus verschiedenen Projekten oder Branchen können sich gegenseitig befruchten – neue Perspektiven entstehen.
Flexibilität & Selbstbestimmung: Polyworking ermöglicht es, selbst über Zeit, Themen und Engagements zu entscheiden.
Motivation & Erfüllung: Verschiedene Rollen bieten Abwechslung und verhindern Monotonie – damit kann Motivation erhalten bleiben.
Netzwerk & Sichtbarkeit: Mitarbeitende vergrößern ihr berufliches Portfolio, knüpfen mehr Kontakte und steigern ihre Sichtbarkeit auf dem Markt.
Doch diese Chancen stehen gegenüber einer Reihe von Risiken – insbesondere für Unternehmen und HR.

Risiken & Herausforderungen für Unternehmen
Polyworking bringt für Arbeitgeber spezifische Probleme mit sich, bei denen HR eine zentrale Rolle einnimmt:
Produktivität & Fokus
Wenn Mitarbeitende mehrere Rollen parallel betreuen, besteht die Gefahr von mentalem Multitasking, häufigeren Wechseln zwischen Kontexten und dadurch sinkender Effizienz oder Qualität der Arbeit im Hauptjob.
Gesundheitsrisiken & Burnout
Die Doppelbelastung kann langfristig zu Erschöpfung, Stress und Burnout führen – sowohl im Verhältnis zum Unternehmen als auch in der Fürsorgepflicht gegenüber Mitarbeitenden.
Loyalitäts- und Verbindungsdefizite
Wenn Mitarbeitende nicht offenlegen, dass sie noch anderweitig arbeiten, kann Vertrauen leiden. Unternehmen könnten sich fragen: Wo liegt die Verpflichtung? Wem gehört die Priorität?
Interessenkonflikte & Compliance
Wenn Rollen bei konkurrierenden Unternehmen oder in verwandten Bereichen bestehen, können Vertraulichkeit, Wettbewerbsverbote oder IP-Rechte betroffen sein.
Rechtliche Fragen
Arbeitsverträge, Nebentätigkeitsklauseln, Arbeitszeitgesetze, Sozialversicherungsaspekte – all das muss geprüft werden. In vielen Ländern gelten gesetzliche Grenzen für maximale Arbeitszeit oder Mindestruhezeiten.
Steuer- und Abrechnungsprobleme
Bei mehreren Engagements erhöhen sich Komplexität und Risiko von Fehlern bei Steuerdeklaration, Sozialversicherungsabgaben, Haftung etc.
Personalplanung & Ressourcensteuerung
Für HR wird die Planung schwieriger: Wer ist wann verfügbar? Welche Ressource ist belastbar? Wie gestehe ich Flexibilität ein?
Unternehmen, die diesen Trend ignorieren, riskieren, dass Mitarbeitende unbemerkt polyarbeiten – und erst bei Problemen auffallen.
Strategien für HR: Wie Unternehmen mit Polyworking umgehen können
Der Umgang mit Polyworking erfordert eine fein austarierte Strategie: weder rigide Verbote noch grenzenlose Freiheit. Hier einige Ansätze:
Transparenz & klare Policy
- Arbeitsverträge und Richtlinien sollten offengelegt festhalten, unter welchen Bedingungen Nebentätigkeiten oder parallele Rollen zulässig sind (z. B. Genehmigungspflicht, Ausschluss bei Wettbewerb).
- Interessenskonflikte, Datenschutz und Vertraulichkeit sollten explizit adressiert werden.
- Kommunizieren Sie von Anfang an klar, dass Offenheit erwartet wird – und nicht heimliche Nebentätigkeiten.
Ergebnisorientierung statt Kontrolle
Menschen in mehreren Rollen zu kontrollieren wird schwierig. Besser: klare Ziel- und Ergebnisvereinbarungen (OKRs, KPIs) statt Streit über eingesetzte Stunden.
Flexible Arbeitsmodelle & Arbeitszeitgestaltung
- Gleitzeit, Teilzeitoptionen oder Jobsharing können Anreize sein, die Mitarbeitenden im Unternehmen zu halten.
- Möglichkeit, Aufgaben umzuverteilen oder temporär anzupassen, um Belastungsspitzen zu vermeiden.
Gesundheitsmanagement & Work‑Life‑Balance
- Angebote für Achtsamkeit, Coaching, Pausenregelungen etc. implementieren, um das Risiko von Burnout zu mindern.
- Mitarbeitenden Signale geben, dass Erholung wertgeschätzt wird.
Kultur der Offenheit & Vertrauen
- Führungskräfte sollten offen für Gespräche über zusätzliche Engagements sein.
- Eine Kultur, in der Mitarbeitende ohne Angst Jammern oder Komplexität ansprechen können, ist entscheidend.
- Statt Verdachtskontrollen (Monitoring) lieber Vertrauen fördern.
Monitoring & Frühwarnsystem
- HR kann mit Belastungskennzahlen (z. B. Überstunden, Krankheitsquote, Fluktuation) prüfen, wo Mehrfachbelastungen wirken.
- In Feedbackprozessen nachfragen, ob Mitarbeitende parallel tätig sind und wie sie das managen.
Anpassung von Vergütung & Benefits
Wenn Mitarbeitende zusätzliche Einkünfte brauchen, kann dies ein Signal sein: sind Gehalt, Benefits oder Karrierechancen attraktiv genug? Eine Überprüfung der Vergütungsstruktur kann sinnvoll sein.
Praxisbeispiele & Handlungsempfehlungen
Beispiel 1: Tech-Firma mit Freelancer-Modell
Ein Softwareunternehmen erlaubt Mitarbeitenden, bis 10 % ihrer Arbeitszeit für eigene Projekte zu nutzen – unter Bedingung, dass diese nicht in Konkurrenz zum Kerngeschäft stehen. Die Jahresziele bleiben unverändert, die Führungskraft sollte in Dialog treten, wenn zusätzliche Belastung sichtbar wird.
Beispiel 2: Agentur mit Projekt-Mix
Mitarbeitende in einer Kreativagentur dürfen über externe Aufträge mitarbeiten, wenn sie diese transparent melden und einen Freiraum innerhalb der Arbeitszeit dafür definieren. Die Agentur bietet gesundheitliche Ressourcen und koordiniert Kapazitäten aktiv.
Handlungsempfehlungen auf einen Blick
- Richtlinie erarbeiten & vertraglich verankern
- Ziele & Ergebnisse klar definieren
- Regelmäßig in Mitarbeitergesprächen nachfragen
- Kapazitäts- und Belastungsmonitoring einführen
- Unterstützungsangebote etablieren (z. B. Coaching, Auszeiten)
- Gehalts- & Benefitsstruktur prüfen
- Kulturwandel fördern: Offenheit, Vertrauen, Partnerschaft statt Kontrolle
Fazit
Polyworking ist mehr als ein vorübergehender Trend – es reflektiert einen Wandel in der Arbeitswelt: weg von linearer Karriere und dem Einheitsjob, hin zu vielfältigen Engagements und individueller Gestaltung. Für Unternehmen und HR bedeutet das: nicht reflexartig verbieten, sondern gestalten. Mit klaren Policies, offener Kommunikation, Ergebnisorientierung und Fürsorge kann Polyworking zu einer Chance werden – statt Risiko.
FAQ
Ist Polyworking in Deutschland überhaupt legal?
Ja – grundsätzlich ist Mehrfachbeschäftigung erlaubt, solange vertragliche Regelungen (z. B. Nebentätigkeitsklauseln) eingehalten werden und die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten bzw. Ruhezeiten nicht verletzt werden.
Wie erkenne ich, ob ein Mitarbeitender poyarbeitet?
Am besten über Transparenz und Gespräche. Umstände wie häufige Minus-/Überstunden, sinkende Leistungsqualität oder Erschöpfung können Indikatoren sein – besser offen nachfragen als heimlich kontrollieren.
Sollte man Polyworking aktiv fördern oder vermeiden?
Es kommt auf die Unternehmenskultur und das Geschäftsmodell an. Ein pauschales Verbot kann Mitarbeitende abschrecken und Innovation blockieren. Ein wohlüberlegter Rahmen mit Freiräumen kann hingegen Loyalität und Motivation stärken.