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#Gamechanging HR: Vordenker-Interview

Julia Bangerth über die neue Rolle von HR & die große Transformation von Unternehmen

Eine der größten Herausforderungen für HR ist das effektive Kompetenz- und Talentmanagement im Unternehmen.

2022 startete die Game-Changing-HR-Initiative mit einem ersten Treffen auf der COPETRI und 10 ersten Thesen der drei Initiatoren. 2023 werden wir nun die wichtigsten Game Changer HR und ihre Visionen im Rahmen unserer Interview-Serie zum Thema vorstellen. Wir freuen uns sehr, dass wir nach der Eröffnung von Marc Wagner mit Julia Bangerth von DATEV eG über #GameChangingHR sprechen und dabei ein großes Bild über HR hinaus zeichnen können.

Julia Bangerth ist Mitglied des Vorstandes der DATEV und nicht nur CHRO, sondern – sicher richtungsweisend – zugleich auch COO.

Ihr „persönlicher“ Veränderungsoptimismus passt zudem nicht nur perfekt zum GamechangingHR-Anspruch und zur Zukunftsausrichtung weit über HR hinaus. Sie ist jenseits der Vordenkerin vor allem auch die Vormacherin der HR-Community, was nicht nur Auszeichnungen wie die als erste CHRO of the Year eindrucksvoll dokumentieren.

In ihrem Interview berichtet sie über ihre Doppelrolle, gibt uns Einblicke in ihren Tätigkeitsbereich und erläutert die beiden gut ineinandergreifenden Seiten der Medaille: COO und CHRO. Vor allem aber zeigt sie ihre Visionen zu #GamechangingHR im doppelten Sinne auf – der Wandel von HR und durch HR – und wie eine Umsetzung nachhaltig gerade im Kontext der Genossenschaften gelingen kann. Last, but not least zeichnet sie das ganz große Bild des Wandels.

Viel Spaß beim Lesen!

1. CHRO bei einer Genossenschaft: Was ist da schief gelaufen?

Liebe Julia, du bist seit vielen Jahren Mitglied des Vorstandes, Chief Operating Officer und Chief Human Resources Officer einer der großen Genossenschaft mit besonderer Strahlkraft: der DATEV eG.Damit bist Du in einem ganz besonderen Umfeld tätig!

Genossenschaften haben nicht die kurzfristige Gewinnmaximierung, sondern den nachhaltigen Erfolg Mitglieder bzw. sogar ihres Ökosystems im Sinn. Mit dieser Ausrichtung einher geht eine große wirtschaftliche, soziale und ökologische Verantwortung. Das ist richtungsweisend, zugleich gelten aber Genossenschaften aufgrund ihrer besonderen Governance oft nicht als Innovationstreiber.

Insofern könnte man in Bezug auf Deine Arbeitgeber-Wahl fragen: Genossenschaft? Was ist schiefgelaufen? Oder positiv formuliert:

Was können Genossenschaften gerade in diesen Zeiten tun, um ihr zukunftsweisendes Erbe zu bewahren und sich zugleich aber als Innovations-Unternehmen zu positionieren?

Julia Bangerth: Ich bin ein riesiger Fan des Genossenschaftsmodells.

Der Begriff Genossenschaft mag etwas angestaubt klingen, letztlich verbirgt sich aber das dahinter, was wir heute unter „Community“ verstehen: Eine starke Gemeinschaft, die füreinander einsteht und sich gegenseitig unterstützt. Das ist ein zeitloser und moderner Gedanke! 

Auch bei uns war der Ausgangspunkt vor über 50 Jahren die Idee: Was einer allein nicht stemmen kann, das schaffen wir in der Gemeinschaft. So ist innerhalb weniger Jahre ein Rechenzentrum entstanden, das voll auf die Bedarfe von Steuer- und Rechtsberatung sowie Wirtschaftsprüfung ausgerichtet war. Und heute sind wir eines der größten IT-Häuser Europas und treiben zusammen mit unseren Mitgliedern die digitale Transformation der betriebswirtschaftlichen Abläufe im gesamten deutschen Mittelstand voran.

Unsere Erfolgsgeschichte steht exemplarisch dafür, wie das Genossenschaftsmodell nachhaltige Innovation fördert: Unabhängig von kurzfristigen Quartalszielen sind Genossenschaften voll auf den in der Satzung verankerten Geschäftszwecks verpflichtet. Das ändert die Perspektive. Nachhaltiges Handeln in allen Dimensionen ist Genossenschaften in die DNA geschrieben. Für mich sind Genossenschaften eine geradezu paradiesische Gesellschaftsform und ich bin hier an der absolut richtigen Stelle angelangt.

Wo steht DATEV, was vor allem den Anspruch an den #Veränderungsoptimismus angeht?

Julia: Mir geht es bei dem Begriff Veränderungsoptimismus um ein gemeinsames, positives Vertrauen ineinander: Angesichts der Transformationsdynamik müssen wir uns gegenseitig darauf verlassen, dass jede und jeder nach Kräften das beste Ergebnis für das große Ganze anstrebt. Angesichts der Multitransformation, also den vielen großen Veränderungen, die wir gerade erleben und die sich gegenseitig verstärken und beeinflussen, brauchen wir ganz viel Veränderungsoptimismus – in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, in Beziehungen mit Mitgliedern und Kund:innen, in den Partner-Ökosystemen…

Mir ist sehr bewusst, dass dieser Anspruch hoch und nicht einfach zu erfüllen ist. Der Mensch tut sich mit Veränderung eher schwer und neigt dazu, die gewohnten, ausgetretenen Pfade gegenüber dem Neuen zu bevorzugen. Doch die Strategien, die vor fünf oder zehn Jahren noch gut und richtig waren, sind angesichts von technologischem Fortschritt, datenbasierten Geschäftsmodellen und einer rasant voranschreitenden Transformation der Arbeit nicht mehr zwangsläufig sinnvoll. Deswegen haben wir bei DATEV vor einigen Jahren eine tiefgreifende Transformation initiiert, die Wertschöpfung, Kundenorientierung, Organisation, Prozesse, Führungsverständnis und Unternehmenskultur gleichermaßen im Blick hat. Ein Gradmesser, dass wir bei allen Entwicklungen grundsätzlich von Veränderungsoptimismus getragen sind, war für mich der Lockdown im Zuge der Corona-Pandemie. Wir haben von einem Tag auf den anderen unsere Organisation komplett in den Remote-Modus versetzt. Das ging erstaunlich reibungslos – und wir waren in der Lage, nicht nur die Produktivität zu halten. Während die Regierung unter teilweise abenteuerlichen Umständen ein Hilfspaket nach dem nächsten geschnürt hat, haben wir all diese Änderungen so verlässlich wie ein Uhrwerk in unsere Software überführt. Alles ungeplant und zusätzlich zu den normalen Aufgaben. Das wäre ohne Veränderungsoptimismus nicht möglich gewesen.

Was spricht daher heute für die DATEV als Partner und Arbeitgeber, so dass sogar eine Julia Bangerth für DATEV gewonnen wurde?

Julia: Unternehmen wie auch Menschen können dem Wandel nur positiv begegnen, wenn sie Lernen und Kompetenzen weiterentwickeln. Wir alle tragen dafür eine Verantwortung. Unsere genossenschaftlichen Werte sowie unser nachhaltiges Mindset sind dafür ein klarer Kompass, und genau deswegen fühle ich mich bei DATEV richtiger denn je: Für uns steht es außer Frage, dass wir sowohl mit unserer Belegschaft wie auch mit unseren Mitgliedern, Kunden und Partnerinnen gemeinsam an der Gestaltung unserer Zukunft arbeiten.

Ich nehme das Beispiel Qualifizierung:

Ich bin überzeugt, dass Unternehmen, Politik und Gesellschaft gemeinsam die Verantwortung tragen, Menschen aller Altersstufen für die Zukunft gut vorzubereiten. Lernen ist dabei die absolute Schlüsselkompetenz.

Doch wer soll sich darum kümmern? Wenn ich sehe, dass in den letzten Monaten große Tech-Konzerne unfassbar viele Menschen auf die Straße gesetzt haben, dann entziehen sich diese Unternehmen genau dieser Verantwortung. Doch damit schaden sie letztlich sich selbst. Wo sollen denn die vielen Fachkräfte herkommen, mit Kompetenzen, die wir heute teilweise noch gar nicht kennen? Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, an der sich alle beteiligen müssen.

Deswegen haben wir bei DATEV das Thema organisationales Lernen ins Zentrum unserer Anstrengungen gerückt. Und zwar gemeinsam mit unseren Mitarbeitenden, Mitgliedern, Kundinnen und Partnern. Wir möchten die Lernreise gemeinsam gestalten und die Zukunft veränderungsoptimistisch angehen. Im Vertrauen darauf, dass jede und jeder sein Bestes geben wird.

2. CHRO und COO: Ist HR als Perspektive heute nicht mehr genug?

Game Changing HR steht für eine doppelte Veränderungsperspektive. Zum einen muss sich HR verändern, zum anderen kann HR eine wichtige Rolle bei der notwendigen Transformation spielen. HR muss sich zunächst aber immer größeren Herausforderungen an den eigenen Wandel stellen, um dann auch notwendigen Veränderungen der Organisation und ihres Kontextes gerecht zu werden.

Was sind in Deinen Augen aktuell die größten Herausforderungen, mit denen sich HR auseinandersetzen muss und wie geht ihr als „DATEV HR“ damit um?

Julia: HR wurde über viele Jahrzehnte in erster Linie als Kostenfaktor angesehen – schon die Bezeichnung ist entlarvend: Der Mensch als Ressource. Dementsprechend war HR vor allem dann erfolgreich, wenn alle Prozesse reibungslos funktionierten. Das ist – zum Glück – vorbei. Natürlich sind effiziente Personalprozesse nach wie vor essenziell.

Aber daneben kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass HR sehr viele sehr gute Antworten für die Herausforderungen hat, die mit der Transformation der Arbeit, dem demografischen Wandel und dem Wandel von Geschäftsmodellen und Märkten einher gehen. Als Impulsgeber und Enabler für Transformationsprozesse ist HR insbesondere bei Themen wie Organisationskultur, Führung und Lernen gefragt.

Wenn Du mich nach den größten Herausforderungen fragst, dann ist dies das effektive Kompetenz- und Talentmanagement im Unternehmen. Die Halbwertszeit von Wissen wird immer kürzer. Organisationen benötigen also immer schneller neue Kompetenzen, um die Anforderungen von Kunden zu erfüllen. Klassischerweise hat man früher diese neuen Kompetenzen vorrangig über den Arbeitsmarkt rekrutiert. Doch Fachkräfte sind rar. Deswegen haben wir entschieden, Recruiting und Lernen als Einheit zu denken. Wenn also im Haus ein Kompetenzbedarf identifiziert wird, dann wird nicht mehr sofort ein Recruiting-Auftrag erteilt. Sondern wir prüfen zunächst, ob das nötige Kompetenzprofil eventuell intern verfügbar ist oder entwickelt werden kann. Das bedeutet gleichzeitig, dass Lernen und Qualifizieren eine immer wichtigere Rolle spielen. Diesen Lernbedarf werden wir ausschließlich mit klassischen curricularen Lernangeboten nicht erfüllen. Daneben stehen heute schon dezentrale Lernformate, Selbstlernplattformen und Möglichkeiten zum gegenseitigen Austausch. Und dieser Bereich informellen Lernens wird zunehmen. HR ist auch hier gefordert, dieses neue Lernen zu professionalisieren, zu orchestrieren und den Mitarbeitenden die nötige Unterstützung für selbstorganisiertes Lernen an die Hand zu geben.

In deiner Rolle kombinierst du COO & CHRO. Warum habt Ihr bei DATEV die beiden Perspektiven – Kund:innen und Mitarbeitende – zusammengelegt?

Julia: Aus unserem großen Transformationsprojekt sind eine Reihe von Änderungsbedarfen entstanden – intern reden wir beispielsweise über Prozesse, Steuerungsfunktionen, Skills, Rollen, Entscheidungen, Verantwortung bis hin zu Strukturen und Infrastruktur. Aus der Perspektive der Mitglieder und Kund:innen geht es um die künftige Entwicklung der Produktwelt, worauf müssen sie sich vorbereiten? Wie können sie ihre Investitionsentscheidungen sinnvoll planen?

Es verändert die Perspektive, wenn man sowohl die Bedürfnisse der Mitglieder und Kund:innen als auch die Möglichkeiten der Organisation als zwei Seiten einer Medaille betrachtet. Damit richten sich auch Kompetenz- und Ressourcenbedarfe neu aus, die Priorisierung von Entwicklungsvorhaben gewinnt einen ganz anderen Charakter. Gleichzeitig steigt die Zufriedenheit bei den Mitarbeitenden, wenn sie näher an den Bedürfnissen von Anwender:innen agieren. Customer Experience und Employee Experience gehen Hand in Hand: Die Erlebnisse, welche Menschen mit Unternehmen haben, sind heute und in Zukunft ein wesentliches Erfolgskriterium.

Inwiefern ist das generell ein Vorbild für das Neudenken der Organisation über HR hinaus?

Julia: Der Markt verlangt von Unternehmen zunehmend Flexibilität und Geschwindigkeit. Das ist mit dem einen großen Masterplan auf der einen, und Silodenken auf der anderen Seite nicht zu leisten. Die Antwort lautet vielmehr Agilität, Selbstorganisation und Eigenverantwortung. Und zwar nicht in kleinen Inseln, sondern über die gesamte Organisation hinweg. Deswegen sind wir dazu übergegangen, die Arbeit entlang der Wertschöpfung zu organisieren – so wie wir es auch mit der stärkeren Integration von HR und Operations getan haben.

In der neuen Struktur übernehmen crossfunktional zusammengesetzte Teams die End-to-End-Verantwortung für ein Produkt oder Prozess. Je nach Bedarf können dabei die Kompetenzen im Team neu zusammengesetzt werden. Dies setzt allerdings voraus, dass die Menschen orientiert sind: Was ist das übergeordnete Zielbild? Wo sind die gemeinsamen Leitplanken? Was sind die konkreten Ziele? Damit definieren wir den Entscheidungsfreiraum für agile Teams und reduzieren den Abstimmaufwand.

3. HR & die „Große Transformation“: Ist Hoffnung berechtigt?

Du hast in einem Post die Liste der unbeabsichtigten Fehler betont, die zu bedeutenden Durchbrüchen bzw. Innovationen geführt haben – wie Penicillin, Kryptographie, die Mikrowelle und Post-It. 

Was genau bedeutet dies nun für Unternehmen, die sich jenseits der Falle der reinen Effizienz dem neuen Innovations-Anspruch stellen wollen?

Julia: Eine Organisation nach dem Lean-Management auszurichten und Fehlervermeidung als oberste Prämisse anzusehen, hat im Industriezeitalter wunderbar funktioniert. Toyota war hier ein absoluter Vorreiter. Allerdings steigt die Komplexität unserer Welt zunehmend und wir haben heute gar nicht mehr die Möglichkeiten, allein aus Erfahrungswissen heraus die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das Wesen von komplexen Problemen besteht eben darin, dass wir die Folgen von Entscheidungen nicht aus der Erfahrung der Vergangenheit ableiten können.

Wenn wir in dieser Situation alles dafür tun, bloß keine Fehler zu machen, gehen wir auch keine Risiken mehr ein, im Gegenteil: Wir halten uns mit Ideen zurück und neuartige/innovative Themen werden aus Angst vor negativem Feedback gar nicht erst gestartet. Dieses Verhalten ist eine Innovationsbremse!

Aus diesem Grund müssen wir heute Themen anders planen und steuern. Im Umgang mit der sogenannten VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity) haben sich agile Prinzipien bewährt, also das Handeln in iterativen Schleifen. Man erkennt eine Realität an: Es ist nicht immer alles sofort perfekt, sondern man geht auch einmal Irrwege. Hin und wieder muss man eben eine Pirouette drehen oder einen Umweg auf sich nehmen, um zum gewünschten Ziel zu gelangen. Aber durch die Kürze der Entwicklungszyklen können Fehler schnell identifiziert und korrigiert werden.

Und ist HR der richtige Treiber für eine neue Fehlerkultur, wo doch Fehlervermeidung fast zur DNS der „Personaler“ gehört?

Sind „Personaler“ selber Leuchttürme für Veränderungsoptimismus? Profitiert HR hier von Deiner Doppelrolle, um insbesondere neben der Mitarbeiter-Perspektive auch die der Mitglieder und Kunden:innen einzunehmen?

Julia: Eine wesentliche Verantwortung tragen die Führungskräfte: Ihr Verhalten ist das Vorbild, an dem sich Mitarbeiter:innen orientieren. Wenn Vorgesetzte eigene Fehler eingestehen, offen darüber sprechen und zeigen, dass Irrtümer menschlich sind und keine negativen Konsequenzen nach sich ziehen, dann hat das eine nachhaltige Wirkung für die gesamte Organisation. Es ermutigt zum Ausprobieren und zur Weiterentwicklung. Dieses Führungsverständnis ist nicht selbstverständlich. Daher ist HR hier sehr wohl ein wesentlicher Faktor, wenn es darum geht, eine neue Organisationskultur und Führungskultur zu fördern.

Wir sprechen hier aber auch über ein generelles Kulturthema. Es geht darum, Fehler als Helfer zu akzeptieren und eine positive Fehlerkultur zu etablieren.

Bei DATEV tun wir einiges dafür, diesen Ansatz fest in unserer Unternehmenskultur zu verankern. Denn die Akzeptanz von Fehlern stärkt das Vertrauen in uns selbst und in andere und lehrt uns zudem, Verantwortung zu übernehmen. Wir sollten uns also nicht fragen, wer Schuld hat, sondern warum etwas passiert ist. Denn wo Fehler geschehen, gibt es Potenzial: Sie sind kein Hindernis, sondern die Chance, Dinge in Zukunft zu verbessern und denselben Fehltritt nicht noch einmal zu begehen. Und das ist eben das entscheidende: Aus Fehlern lernen, sie aktiv ansprechen und nicht unter den Teppich kehren. Das erfordert natürlich das Verlassen der Komfortzone, aber der Gewinn hieraus ist enorm. Vermutlich braucht es auch hier eine Prise Veränderungsoptimismus – die ich als COO & CHRO vorlebe.

4. HR und Veränderung: Was hindert uns heute noch?

Viele sinnvolle Maßnahmen, die erste Schritte zu positiven Veränderungen sein können, kommen leider nie über die Kinderschuhe hinaus. Die Digitalisierung oder Maßnahmen im Kontext Nachhaltigkeit sind sicher naheliegende Beispiele. 

Warum lehnen viele Menschen neue Ideen ab, die ganz offensichtlich einen überwiegend positiven Effekt haben?

Julia: Ich persönlich liebe ja Veränderungen. Mir ist aber sehr wohl bewusst, dass es den meisten Menschen nicht so geht. Wir sind in der Regel auf der Suche nach einem stabilen Umfeld, lieben Rituale und Gewohnheiten und wenden sie auch nur allzu gerne an. Rituale machen uns effizient – und gleichzeitig machen sie uns schwerfällig für Veränderungen. Wer kennt nicht die Aussage: Das haben wir schon immer so gemacht und es hat bisher wunderbar funktioniert. Veränderung tut weh.

Wenn man dies auf Organisationen überträgt, lassen sich vergleichbare Strukturen ausmachen. Gelernten Wahrheiten und Gewohnheiten bieten vermeintliche Stabilität, gewachsene Organisationsstrukturen stehen für Sicherheit.

Um hier nachhaltig Veränderung zu bewirken, müssen genau diese tief in der Organisationskultur verankerten Mechanismen verlernt werden. Dieses „unlearn“ öffnet den Raum für echte Veränderung.

Doch ist Verlernen unheimlich schwierig. In Stresssituationen ist ein Rückgriff auf die alten Verhaltens- und Denkmuster sehr naheliegend – und fatal. Deswegen ist Unlearn ein langwieriger Prozess.

Welche Bedeutung haben strukturelle Engpässe wie gewachsene oder ungeeignete Strukturen?

Julia: Veränderung funktioniert immer dann wirklich gut, wenn wir durch äußere Umstände zum Handeln gezwungen sind. Die Pandemie war so eine Situation. Innerhalb kürzester Zeit war plötzlich alles anders und wir hatten überhaupt keine andere Wahl, als uns zu verändern. Ohne so einen Druck oder die Notwendigkeit ist es viel schwieriger.

Bei einer Genossenschaft ist diese Herausforderung noch komplexer, gerade bei einem umfassenden Ökosystem wie bei der DATEV.

Was sind auf individueller wie struktureller Ebene die Maßnahmen, damit Wandel begrüßt und nicht verhindert wird?

Julia: Auch hier spielt die Unternehmenskultur eine entscheidende Rolle. Wandel gehört mehr denn je zu unserem Leben. Stillstand ist Rückschritt. Wenn wir das begreifen, sind wir auf dem richtigen Weg. Veränderungen resultieren zumeist aus Unzufriedenheit in der Vergangenheit. Demnach bieten sie auch eine enorme Chance, Dinge in Zukunft besser zu machen. Und wenn Mitarbeitende im Unternehmen aktiv Prozesse und Aufgaben hinterfragen, (kontroverse) Ideen äußern und den Fokus auf Optimierung legen, kann das auch in einem umfassenden Ökosystem wie  DATEV gelingen. Man muss also die Angst vor Veränderung nehmen und Lust auf Veränderung vermitteln.

Gleichzeitig brauchen Veränderungsinitiativen Schutzräume. Und ich meine dabei sowohl große strategische Projekte wie auch kleine Initiativen von Teams oder auch einzelnen Mitarbeitenden. Indem die Projekte und Initiativen vom restlichen Unternehmen abgeschirmt werden, können sie Neues ausprobieren – ohne dass sie der Organisationskultur zum Opfer fallen. Das geschieht zumeist gar nicht absichtlich oder mit bösem Hintergedanken. Aber wenn im „Tagesgeschäft“ wichtige Themen anstehen, ist die Veränderungsinitiative weniger relevant. Im Gegenzug ist es jedoch entscheidend, über die Erfahrungen in den Schutzraumexperimenten auch Transparenz herzustellen. Dann können andere Teile der Organisation von diesen Erfahrungen lernen.

5. Das große Bild: DATEV und ihre Mitglieder in 10 Jahren?

Bislang kennt man dich in den sozialen Netzwerken vor allem mit Beiträgen rund um #HR, #Diversity und #Organisationsentwicklung. Zugleich stehst Du mit Köpfen wie Jutta Rößner auch für das größere Bild einer neuen Ökonomie der #Ökosysteme und eine Neudefinition der kokreativen Wertschöpfung der Branche über das klassische Selbstverständnis und die Steuerberatung als Kern hinaus.

Wenn wir am Schluss das ganz große Game Changing-Bild zeichnen dürfen: Inwieweit wird die DATEV im Kontext des DATEV-Ökosystems in 10 Jahren anders sein als vor 10 Jahren? Was wird auf diesem Weg passieren?

Julia: Die Veränderungsdynamik in den Märkten ist so hoch, dass ein Unternehmen allein die vielfältigen Bedarfe der Kundinnen und Kunden künftig nicht abdecken kann. In den letzten Jahren haben wir daher peu à peu unser Portfolio um Angebote von Dritten auf dem Marktplatz ergänzt. Durch den Ausbau unserer Schnittstellen zu Partnern wollen wir zukünftig unsere Kernanwendungen in der DATEV Cloud-Welt mit weiteren und gut integrierten Kooperationslösungen erweitern. Durch die Integration entstehen neue digitale Geschäftsmodelle im Ökosystem, von denen Kanzleien und Mandanten profitieren.

Und was wird dann Eure Rolle und die Eurer Mitglieder in einer wahrscheinlich deutlich veränderten Welt sein?

Julia: Wir sind natürlich nicht die einzigen Betreiber eines Ökosystems. Es wird ganz viele solcher Ökosysteme geben, die miteinander interagieren.

Durch die digitale Transformation und die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entstehen vielfältige Arbeitsabläufe und Wertschöpfungsprozesse im Netzwerk mit Mitgliedern, Kund:innen und Partnern. Im Fokus steht nicht mehr die 1:1-Beziehung, sondern das Denken und Zusammenarbeiten in Ökosystemen.

Auch in der Steuer- und Rechtsberatung sowie in der Wirtschaftsprüfung werden solche Verbindungen entstehen. Insbesondere das Tandem aus Kanzlei und Mandant wird noch viel enger zusammenwachsen, als wir das heute kennen. Beide werden in Zukunft viel besser digital zusammenarbeiten können – Stichwort Kollaboration. Die Steuerberatung wird zudem tiefer in die Geschäftsprozesse des Mandanten eintauchen und für diesen Anträge auch in Richtung Banken, Behörden etc. voll digital stellen können.

Als Genossenschaft sehen wir unsere Aufgabe darin, unsere Mitglieder auf diesem Weg bestmöglich durch Produkte und Beratung zu begleiten und zu unterstützen.

Herzlichen Dank für das Interview!

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